Es fing schon beim ersten Telefonat an, als der Vater mir mitteilte, dass ein "Zeuge" zugeschaltet sei. Ich habe mich also vom ersten Moment an überwacht gefühlt. Aber was soll's, ich hatte ja nicht zu verbergen, sollte er eben zuhören. Beim Gesprächstermin wurde ich direkt darauf hingewiesen, dass ich "viel zu spät" sei. Bei einer 1,5 Stunden Fahrt sind 10 Minuten dabei nicht wirklich ungewöhnlich. In seiner Wohnung wartete noch ein "Gast". der wiederum zuhören und mitschreiben wollte: Der Vorsitzende des Vätervereins. Natürlich war das mit mir nicht abgesprochen worden. Ich hätte die Teilnahme verweigern können, keine Ahnung warum ich es zugelassen habe. Ich denke ich hatte keine Lust auf die Diskussionen und fühlte mich auch nicht von ihm bedroht.
Bei dem Fall ging es um Zwillinge, 14-jährige Jungs, die keine Lust auf ihren Vater hatten und ihn nicht treffen wollten. Sie hatten gute Gründe dafür. Der Vater hatte deutliche narzisstische Züge. Er hatte sich jahrelang nicht um sie gekümmert, tauchte immer nur plötzlich unangekündigt irgendwo auf. Er trank wohl auch viel Alkohol und sie erinnerten sich daran, dass er auch beim Autofahren Alkohl getrunken und sie als kleine Jungs nicht angeschnallt hatte. Wenn er einmal Zeit mit den Jungen verbringen wollte, erwartete er, dass sofort Zeit für ihn gefunden wird. So sollten die Jungen ihre Geburtstagsfeier für ihn absagen. Einmal nahm er sie direkt nach der Klassenfahrt und völlig übermüdet mit zu einem Ausflug. Bei einer Übernachtung der Pfadfinder forderte er, auch daran teilzunehmen, obwohl es nicht für Eltern war. Den Kindern waren solche Aktionen sehr unangenehm. Sie schilderten mir, dass sie zusätzlich einfach keinerlei Draht zu ihm hätten und nicht wüssten, was sie überhaupt zu ihm sagen sollten.
Aus Sicht des Vaters hatte er das Recht, Zeit mit seinen Söhnen zu verbringen und sah es als die Aufgabe der Mutter, des Jugendamtes und mir an, sie dazu zu bringen. Er sagte sogar wörtlich, das müsse ihnen "eingetrichtert" werden. Deren Wünsche? Nicht relevant. Er war natürlich kein bisschen dafür verantwortlich, dass ihn die Kinder nicht sehen wollten und die Mutter hat sie ihm gezielt entfremdet. Er sah sich selbst als "benachteiligter Vater" und hatte deshalb auch den Väterverein auf seine Seite gezogen. Sollte ich nicht dafür sorgen, dass er die Kinder wieder regelmäßig sehen darf, dann wäre ich auch gegen Väter. Er ließ also keinerlei Abweichung von seiner eigenen Meinung zu. Die Meinung der immerhin 14-jährigen Jungs konnte er natürlich auch nicht respektieren, schließlich waren die in seinen Augen "indoktriniert". Natürlich gibt es benachteiligte Väter, immerhin leben in Deutschland die meisten Kinder nach einer Trennung bei der Mutter, dieser Mann war aber keiner von denen, sondern hielt sich nur dafür.
Ich konnte die Jungs zu einem Treffen überreden. So sollte der Vater die Möglichkeit bekommen, einmal selbst mit seinen Söhnen zu reden und vielleicht ja auch wieder Kontakt aufzubauen. Zu dem Treffen kam auch der Herr vom Väterverein, saß am Nachbartisch und machte Notizen. Die Jungen saßen mit mir am Tisch in einer Bäckerei. Der Vater kam recht aufgedreht herein und begrüßte die Jungs mit "Ghettofaust", was denen sichtlich peinlich war. Er war natürlich etwas hilflos, da er länger keinen Kontakt zu den Kindern hatte. Also sprach er zunächst davon, was für coole Jungs sie seien und wie cool ihre Frisuren seien. Da das ganze Café aufgrund der Lautstärke mitbekam, war es den beiden schon wieder peinlich. Der Kindesvater deutete auf seine Bauchregion und erklärte, dort genäht worden zu sein. Ob die Jungen wüssten, was da passiert sei. „Schlägerei?“, fragte ein Sohn. Der Kindesvater verneinte und erklärte, einen Schlauchmagen bekommen zu haben. Er sei zwar nicht zu dick, aber zu klein für sein Gewicht. „Hast du da vielleicht Ernährungstipps für mich? Du kennst dich doch damit aus. Vielleicht Kartoffeln?“, fragte der Kindesvater einen der Söhne. Dieser antwortete, dass Gemüse eher zum Abnehmen geeignet sei, zum Beispiel Brokkoli. Der Kindesvater führte aus, dass sein Magen um 80 % verkleinert worden sei. Er könne nur noch ganz kleine Portionen essen. Neulich habe ihm nach einem halben Rindersteak das Essen bis hier gestanden (der Kindesvater deutete mit der Handkante auf seinen Hals) und er habe danach echt überlegen müssen, ob er nun zum Klo gehe oder nicht .„Habt ihr mich denn wenigstens ein bisschen vermisst?“, fragte der Vater. „Nein, ehrlich gesagt nicht“, antwortete ein Sohn. „Aber warum denn nicht?“, fragte der Vater. Der andere Sohn führte aus, dass er sich nicht viel um sie gekümmert und Versprechen nicht eingehalten habe. Er ergänzte noch, dass er oft über sie hinweg entschieden habe, was gemacht werde. So habe er im Kino „Fack ju Göhte 3“ nicht sehen wollen und auf den Film „Maze Runner 2“ bestanden, der sich als „Horrorfilm mit Zombies“ erwiesen und sie verängstigt habe. Der Vater äußerte die Vermutung, dass der andere Film nicht mehr gelaufen sei. Ein Sohn erklärte, dass ihr gewünschter Film sehr wohl noch gelaufen und auch nicht ausverkauft gewesen sei. Dieser habe ihn (den Vater) nur nicht interessiert. Der Vater erklärte, dass ihm das dann sehr leid tue und er sie nicht habe verärgern wollen. Der andere Sohn erwiderte, dass sie ihm schon oft mitgeteilt hätten, was ihnen nicht gefallen habe, aber er habe sie nie ernst genommen. „Jeder macht doch mal Fehler“, sagte der Vater. Er würde sich ihnen wirklich sehr gern wieder annähern und hoffe, eine Chance dazu zu bekommen. Er erkundigte sich, ob die Jungen seine Geschenke, wie die Handtücher, noch hätten. Die Jungen bejahten. An mich gerichtet berichtete der Vater, dass es sich dabei um ganz kuschelige Sansibar-Handtücher von Sylt handle. „Sind die kuschelig? Sind die wohl kuschelig?“, fragte er laut, Bestätigung suchend und ziemlich überdreht die Jungen. Diese bejahten, wirkten aber wiederum verlegen und peinlich berührt. Mich hat er übrigens immer "Frau Maja" genannt, was den Jungen auch peinlich war. Kurzum, dem Vater war es nicht gelungen, irgendwie eine gemeinsame Ebene mit den Söhnen zu finden und die beiden haben ihm auch mehrfach deutlich gesagt, warum sie keinen Kontakt zu ihm haben wollten. Das ganze Treffen war ihnen unangenehm.
Nun und wie ging das aus? So traurig es auch ist, man kann Kinder nicht zum Kontakt zwingen und diese beiden hatten ihre Gründe und waren nicht "indoktriniert". Der Vater wurde aber von dem Herrn vom Väterverein noch bestärkt, dass das Treffen ja so toll verlaufen sei und hat keinerlei Fehler bei sich selbst gesehen. Natürlich war er mit meinem Gutachten absolut nicht einverstanden, da ich ja keinen Weg gefunden hatte, den Kindern "eimzutrichtern", dass sie ihn treffen müssten. Er hat deswegen noch ein privates Gegengutachten erstellen lassen, das allerdings nur die Perspektive des Vaters berücksichtigte. Dieses wurde vom Gericht komplett ignoriert. Generell finde ich es immer besser, wenn Kinder Kontakt zu dem anderen Elternteil haben, in diesem Fall war es aber einfach zu spät, noch eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen.